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19
Mär
17

Karin Reddemann: Schweigeminuten

Gruselgeschichte – Grusel – Spannung – Gänsehaut

Schweigeminuten

© Karin Reddemann

Ihnen fehlten Augen. Die geschlossenen Lider waren es, die anfangs irritierten. Unverkrampft verschlossen zwar, aber ohne Chance, in den Gesichtern lesen zu können. Unheimlich irgendwie. Genial inszeniert. „Die könnten jetzt an alles denken. Gott. Kinder. Leiber aufschlitzen. Ficken.“ Thomas Gregorian kicherte. Ihm gefiel, was er sah. Warten auf irgendwen. Irgendwas. Er betrachtete das Bild genauer. Vermutlich eine spiritistische Sitzung, schätzungsweise in den 30ern gemalt. Die junge Frau, die gemeinsam mit ihm auf den Speicher der alten Villa geklettert war, verzog angewidert das Gesicht: „Scheußlich. Das macht mir Gänsehaut.“ Thomas Gregorian grinste. „Absicht, vermute ich.“ Er hatte Edgar Gregorians Bild von Staub und Spinnweben befreit und hielt es jetzt in Augenhöhe. Gregorian musste es kurz vor seinem Tod gemalt haben. Ein Bruder seines Großvaters, der auf bizarre Art ums Leben gekommen war. Man hatte ihn und seine Frau mit durchtrennten Kehlen vor dem gemauerten Kamin im Erdgeschoss gefunden. Der Mörder wurde nie gefasst, hatte auch nichts gestohlen, war wohl einfach nur hereinspaziert, um Blut spritzen zu sehen, hübsche Fontänen aus weißen Hälsen, die sich auf dem Steinfußboden verloren. Thomas starrte auf das Bild und war beeindruckt. Merkwürdig nichtssagende Szene. Trotzdem fühlte er sich eingeladen, an etwas teilzunehmen, das wichtig zu sein schien. Was war so verdammt wichtig gewesen? Gemeinsam zu träumen, zu hören, zu vögeln? Wer mit wem? Das Bild hatte was, zweifellos. Alle fünf waren elegant gekleidet und tadellos frisiert, die schöne Blonde in rotem Samt, Samt kam hin, die Brünette in moosgrünem Taft. Vielleicht Seide. Die Männer trugen ihr Haar straff nach hinten gekämmt, vermutlich klatschnass und verklebt von zu viel Pomade, aber nur so wirkte es. Sie blickten nicht auf, sahen sich nicht an. Hielten die Lider geschlossen wie im stummen Gebet. Vergruben ihre Augen, deren Farbe für den Künstler wohl bedeutungslos gewesen war, im Leeren. Leer für denjenigen, der es nicht besser wusste. Wissen konnte. Thomas klemmte sich das Bild unter den rechten Arm, durchwühlte mit der linken Hand die oberste Schublade der Kommode, auf der es gelegen hatte. Fingerte eine mit dunkelroten Rosen verzierte bräunliche Schreibkladde heraus, legte das Bild zurück, blätterte hastig, las flüchtig einige Zeilen, ordentlich datiert. Elfter Oktober 1936. Das war die letzte Eintragung. Grundsätzlich logisch. Am zwölften wurden Edith und Edgar Gregorian vor dem Kamin von einem Wahnsinnigen abgeschlachtet. Danach lief natürlich nichts mehr. Thomas war begeistert. „Ich glaub’s nicht. Sieh Dir das an, Lisa. Das gehörte meiner Großtante.“ Lisa Thössen, die sich auf dem dunklen Speicher zusehends unbehaglicher fühlte, verschränkte die Arme vor der Brust. „Und?“ „Was und?“ Er klang ärgerlich. „Das ist Familie, Mann! Meine verdammte Familie. Cosa nostra, Du verstehen? Das nehm ich mit.“ Er drehte sich um. Sprach offensichtlich mit der Wand, verdrehte abgenervt die Augen, griff wieder nach dem Bild, steckte die Kladde umständlich in den Bund seiner Jeans. Lisa war schon auf dem Abstieg, tastete sich mit ihren Füßen, die in unpraktischen hochhackigen Sandalen steckten, vorsichtig nach unten. „Die Schlampe ist nicht mehr lange“, dachte er und folgte ihr. Sah sich in einem imaginären Spiegel verschwinden, verharrte kurz auf der dritten Sprosse, die gefährlich knarrte, fühlte ein leichtes Schwindelgefühl, spürte unsinnige Panik in sich aufsteigen. Großer Gott, WAS war das? Hatte er das wirklich gesagt? Nein, gesagt nicht. Nicht gesagt. Gedacht. Er hatte gedacht: Die Schlampe ist nicht mehr lange. Er brauchte dringend Luft. Hier roch alles nach Gestorbenem. Moder und sonst was. Eklig. Witterte das kleine entzückende Luder das auch? Er grinste wieder, konnte nicht anders, schüttelte sich, stieg hinunter.

Gegen zweiundzwanzig Uhr am Tag seines göttlichen Fundes auf dem Speicher der alten Villa seiner Großeltern Friedelgund und Herbert Gregorian war die süße blonde Freundin von Thomas Gregorian tot. Ihr zartes junges Gesicht war von einer Axt in zwei Hälften geteilt, jede für sich recht hübsch, aber unfähig, weiterzumachen. Geschah ihr recht. Was hatte sie sich einzumischen?

Thomas saß mit geschlossenen Augen vor dem Kamin und hatte das gemütliche Prasseln des Feuers im Ohr. Herrlich! Das Bild hing über dem schweren Schreibtisch, auf dem sein Laptop wie eine exotische Pflanze in einem Meer von Gänseblümchen wirkte. Gänseblümchen, wie sie bereits eine kleine Edith, ein kleiner Edgar gepflückt hatten, stolz, mit hochroten Wangen, der Mutter geschenkt, die nichts damit anzufangen wusste und sich trotzdem freute, sie in ein Wasserglas stellte, es auf dem Küchentisch platzierte, um zuzuschauen, wie sie langsam starben. Edith Gregorians Tagebuch lag auf seinen Knien, er hatte es zweimal gelesen, es war nicht schwierig, sie hatte in Druckbuchstaben geschrieben, warum auch immer.

10. November 1933: Trotz der Bedrohnis, die ich überall spüre, ahne, dass Schlimmes passieren wird, weil alles so trügerisch gut ist. Atme auf. Glücklich. Habe vor drei Tagen entbunden. Engelbert Siegfried heißt mein Gottesgeschenk. Edgar ist außer sich vor Freude (…)

17. Dezember 1933: Edgar hat mir Valentin von Fetzow vorgestellt. Groß, sehr schlank. Ausgesprochen belesen. Ein faszinierender Mann, durchaus. Er sieht mich unentwegt an mit seinen grauen Augen. Seine Wimpern sind zu lang und zu schwarz für einen Mann. Zu schön. Er ist mir unheimlich (…)

28. Dezember 1933: Werde Edgar bitten, Valentin von Fetzow nicht mehr einzuladen. Er macht mir Angst. Er will, dass Edgar ihn malt. Er sagt, das sei für ihn ein Jungbrunnen. Wie kann ein Bild derartiges sein? Er spricht von Tantalus, ich kenne diese Geschichte, süße Früchte, labendes Wasser, nie erreichbar, quälend, abscheulich. Er sagt, so würde es ihm nicht ergehen, das könnte niemand mit ihm machen, kein Gott, kein Teufel. Er irritiert mich (…)

15. Januar 1934: Edgar ignoriert meine Bitte. Valentin von Fetzow hat mir etwas in mein Poesiealbum geschrieben, ich einfältige Romantikerin besitze es noch, er war amüsiert, weil ich verlegen wurde. Er wollte es sehen, Edgar war erheitert, er nannte mich „mein dummes süßes Frauchen“. Ich holte es, wohl rot vor Scham, wohl auch vom Wein, den Valentin von Fetzow uns mitgebracht hatte. Eine staubige, alte Flasche mit einem Korken, der zu fest saß, um in unserem Jahrhundert hineingesteckt worden zu sein. „… und lasse Dich bannen mit Öl auf Linnen, und schmecke ihren Geist und labe Dich, dann lebe ewig.“ Ich verstehe das nicht. Warum schreibt er so grausam? (…)

27. Februar 1934: Valentin von Fetzow ist nach Italien gereist. Vielleicht kommt er nicht zurück. Ich werde Edgar sagen, dass ich ihn nicht wiedersehen will. Gott vergebe mir meine unreinen Gedanken (…)

25. April 1934: Ich habe gesündigt, sollte mir die Augäpfel herausreißen, die Locken schneiden, kurz, hässlich, ich habe es verdient. Er war hier. Allein. Meine Brüste, so hart, so gut, gehörten ihm. Mein Schoß. So nass, voller Freude. Ich habe ihn geschmeckt, meine Lippen haben ihn gesaugt. Die Hölle. Gott, sei gnädig. Sei streng. Edgar weilt in Bad Oeynhausen, der Gute, der Teure. Soll nichts erfahren, nichts wissen. Und doch. Tötet er mich, soll es so sein (…)

15. Mai 1934: Mein Herz schreit nach ihm. Edgar ahnt nichts. Er wird zurückkommen. Im Herbst. Edgar will ihn malen. Ich will ihn. Will ihn. Sündiges Fleisch. Ich kann es nicht ändern (…)

11. Juli 1934: Valentin war bei mir. In mir. Ich spüre ihn, rieche ihn noch immer, will mich nicht waschen. Noch nicht. Edgar lag zu Bett, er fiebert, nimmt nur Tee und trockenen Zwieback zu sich. Ich kümmere mich. Als er schlief, habe ich Valentin meine Brüste gezeigt. Er wollte aus meinen Warzen trinken. Ich zittere, wenn ich an seine Bisse denke (…)

19. September 1934: Valentin, süßer Valentin. Er hat sich verändert. Brachte ein Buch mit. Konstantin von Fetzow. 1862. Hat es in einem römischen Antiquariat gefunden. Ein scheußliches Buch mit einer Dämonenfratze. Er sagt, es sei ein Wegweiser. Mehr sagt er nicht. Hat es nur gezeigt. Mehr nicht. Will jetzt doch noch nicht gemalt werden. Sagt, es müsse wohl sein. Müsse aber später sein. Edgar weiß nicht, wie unruhig ich bin. Spürt er es? Lass mich besser sterben, Gott (…)

8. Oktober 1934: Es wächst. Valentins Sohn. Ich weiß, dass es ein Junge ist. Ich bete das Ave Maria, ich bin mit dem Dreck unter meinen Schuhen verwachsen. Edgar freut sich. Ich übergebe mich, behalte nichts bei mir, wische mir den Mund ab und lächle ihn an. Armer Edgar. Valentin ist kühl zu mir. Er betrachtet meinen Bauch und sieht mich ernst an. Er weiß es. Ich weiß es. Er wirkt blasiert. Er ist nicht ehrlich. Mir wird kalt, wenn sein Atem mein Gesicht streift. Ich will, dass er mich berührt. Er will es nicht mehr. Er hat bekommen, was er wollte. Grausam, grausam ist er. Fühle mich beschmutzt. Bin schmutzig. Unrat bin ich. Nachts schreie ich vor Lust, bleibe aber stumm, berühre mich unsittlich, während Edgar, der Gute, neben mir träumt. Wovon träumt er? Will ich es wissen? (…)

19. November 1934: Valentin hat geschrieben. Ein Brief nur für mich. Habe ihn verbrannt. Er will meine Liebe nicht. Nur meine Frucht. Selbst die sei nichts wert, sagt er. Er muss warten. Fühle mich gefangen im Bösen. Möchte mir den Leib aufschlitzen. Will schlafen. Vergessen. Kann nicht. Fürchte Gottes Zorn. Fürchte Edgar (…)

11. Januar 1935: Mein Sohn ist zuhause. Habe ihn Konstantin genannt, weiß nicht, warum. Wollte ihn Herbert nennen, nach meinem Patenonkel. Weiß nicht, warum. Konstantin. Er hat graue Augen. Valentins Grübchen im Kinn. Edgar, der Tor. Sieht nichts. Besser so (…)

17. März 1935: Valentin liebt ihn nicht. Unsauber sei er, sagt er. „Der Nächste, der kommt, der wird es sein.“ Sagt er und schüttelt mich ab, will nicht umarmt, nicht liebkost werden. Fühle mich entsetzlich. Bin hässlich. Will sterben und doch nicht. Warum der Nächste? Es wird kein Kind mehr geben mit Valentin. Er weist mich von sich. Meine Brüste beben. Brüllen nach ihm. Er sagt kein Wort (…)

25. Mai 1935: Fühle keine Wärme. Als sei er nicht mein Kind. Meine Brust will er nicht. Ich singe ihn in den Schlaf und weine. Habe das Gefühl, dass er nicht um seiner selbst willen auf dieser Welt ist. Weiß nicht, warum. Seine Augen sind tot. Will ihn lieben. Kann nicht. Konstantin sollte nicht sein. Ich weiß, dass es falsch war. Was wird? Zittere. Fürchte mich (…)

24. Juli 1935: Träume von Valentin. Höre seinen Atem. Er streift mein Nachthemd hoch und streichelt meine feuchten Schenkel, fährt höher, beiße mir die Lippen blutig, gebe keinen Laut von mir (…)

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